Landessortenversuche Wintergerste 2025

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Sortenversuche Wintergerste

Mit nur noch etwa 127.000 ha fällt die nordrhein-westfälische Anbaufläche für Wintergerste auf den tiefsten Stand seit mehr als 10 Jahren. Die überwiegend guten Erträge lassen allerdings erwarten, dass die Gesamternte nicht unter dem langjährigen Durchschnitt liegen wird. Die allerdings nach wie vor geringen Preise zwingen dazu, Sortenwahl, Düngung und Pflanzenschutz noch weiter zu optimieren.

Ein fast normales Jahr?

Ein eher feuchter Herbst und Winter, ein trockener Frühling und wechselhafte Bedingungen im Sommer. Ausgehend von den meisten Klimaprognosen war die Saison 2024/2025 ein fast normales Jahr, wie es in Zukunft häufiger zu erwarten sein wird. Davon profitieren relativ vor allem die besseren Standorte, auf denen die Winterniederschläge möglichst lange im Boden gespeichert werden können. Kritisch ist es unter diesen Bedingungen allerdings den optimalen Saattermin für Wintergerste zu finden: Zu frühe Aussaaten erhöhen aufgrund der ansteigenden Herbsttemperaturen das Risiko, dass sich die Bestände noch vor Winter überwachsen und sind zudem anfälliger gegenüber Krankheiten, einschließlich der durch Blattläuse übertragenen Gelbverzwergungsviren. Andererseits ist es vor allem auf schwereren Standorten riskant, zu lange mit der Aussaat zu warten, da die Böden dauerhaft vernässen können.

Die meiste Wintergerste im Herbst 2024 wurde zu normalen Terminen und unter guten Bedingungen gesät. Die nachfolgend moderaten Niederschläge und Temperaturen begünstigten eine gleichmäßige Bestandesentwicklung. Ab dem Frühling allerdings differenzierten aufgrund der fehlenden Niederschläge zunehmend die Bestände auf leichten von denen auf mittleren bis guten Standorten: Während vor allem im nördlichen Münsterland und Ostwestfalen der Wasser- und daraus resultierend oft auch Nährstoffmangel optisch deutlich zu erkennen waren, entwickelte sich die Wintergerste in den besser versorgten Anbaugebieten weiter sehr gut. Dazu trug regional auch eine bessere Stickstoffversorgung durch frühe und bevorzugt mineralische Düngemittel bei. Vorteil der geringen Niederschläge war ein sehr geringer Krankheitsdruck vor allem bei Rhynchosporium und Netzflecken, der einen reduzierten Fungizideinsatz ermöglichte.

Die weitere Bestandesentwicklung war vor allem in den trockeneren Lagen stark davon beeinflusst, wann und ob in den kritischen Phasen der Ertragsbildung noch ausreichende Niederschläge fielen. Der daraus resultierende Befall mit Zwergrost in anfälligen Sorten, ließ sich mit einfachen Fungizidmaßnahmen kontrollieren. Ramularia kam, wenn, dann meist zu spät um deutliche Ertragsverluste zu bewirken. Der Wachstumsreglereinsatz war rückblickend vereinzelt zu gering, vermutlich ebenso häufig aber zu hoch und kostete entweder Ertrag durch Lager oder durch Stress, beides allerdings nur im Zusammenhang mit extremer Witterung auf höherem Niveau. Die ersten Hitzephasen ab Juni kamen zumindest für die Wintergerste erst zu einem Termin an dem die Kornfüllung bereits weitestgehend abgeschlossen war und beschleunigten daher überwiegend nur noch die Abreife.

Die Ernte begann früh und war ebenso schnell beendet. Dabei traten nur selten nur Probleme auf. Wie aufgrund der Bestandesentwicklung und des Witterungsverlaufs zu erwarten, erzielten vor allem die Betriebe auf den mittleren bis guten Standorten hohe Erträge von oft deutlich über 100 dt/ha. Je leichter der Boden und je geringer die Niederschläge während der kritischen Phasen, desto stärker näherten sich die Erträge allerdings den landesweit unteren Grenzen an. Allgemein hoch waren, auch begünstigt durch die intensive Strahlung und geringe Nachttemperaturen, die Hektolitergewichte, so dass bei nach wie vor geringen Preisen zumindest keine Abschläge bei der Vermarktung hinzunehmen waren.

GMV und GVV

Das Gelbmosaikvirus der Gerste (GMV), englisch: Barley Yellow Mosaic Virus (BaYMV) wurde erstmals 1978 in Deutschland nachgewiesen. Es wird durch den bodenbürtigen Parasit Polymyxa graminis übertragen, dessen Dauersporen über 20 Jahre lang im Boden verbleiben können. Der Befall äußert sich in strichelartigen Aufhellungen bis hin zum Vergilben und Absterben der Blätter und einem verminderten Wuchs. Besonders auf schweren Böden können signifikante Ertragsverluste auftreten. Da weder eine direkte Bekämpfung des Virus noch eine indirekte Bekämpfung des Vektors möglich sind, wurden bald resistente Sorten gezüchtet, die gegenüber dem Gelbmosaikvirus Typ 1 (GMV1) resistent und tolerant sind. Diese Sortentypen werden in den meisten Anbaugebieten nach wie vor erfolgreich angebaut.

Regional allerdings wurde durch den intensivierten Anbau dieser Sorten das zuvor nicht bekannte Gelbmosaikvirus Typ 2 (GMV2) selektiert, das die GMV1-Resistenz überwinden kann. Auf diesen Standorten beziehungsweise in den entsprechenden westfälischen Regionen wird zur Schadensvermeidung empfohlen, bevorzugt Sorten mit Resistenz gegenüber GMV1+2 anzubauen. Dazu zählen aktuell die Sorten JULIA, AVANTASIA und SU HETTI, und die neu zugelassenen Sorten KWS CHILIS und CHARMANT.

Davon zu unterscheiden sind die Gerstengelbverzwergungsviren (GVV), englisch: Barley Yellow Dwarf Virus (BYDV), die von verschiedenen Blattläusen übertragen werden und nicht nur in Getreide, sondern auch in Mais und vielen (Wild-)gräsern überdauern können. Der primäre Befall und die Ausbreitung des Virus durch Blattläuse im Bestand erfolgen überwiegend im Herbst. Als wichtigste Maßnahmen zur Schadensvermeidung gelten eine möglichst späte Aussaat und der gezielte Einsatz von Insektiziden gegen Blattläuse nach dem ersten Zuflug (Bekämpfungsschwelle bei 10-20% befallenen Pflanzen). Die typischen Symptome eines GVV-Befalls sind strichelartige Aufhellungen der Blätter und eine starke Verzwergung bis hin zum Ausfall einzelner Pflanzen. Der Befall tritt meist nesterweise auf, kann unter extremen Bedingungen aber zu sehr hohen Ertragsverlusten bis hin zum Totalausfall führen.

Daher werden auch in Deutschland zunehmend Sorten angebaut, die durch ein aus einer äthiopischen Gerste eingekreuztes Ryd2-Gen gegenüber dem Befall mit den beiden häufigsten Stämmen GVV-PAV und GVV-MAV tolerant sind. Dazu zählen beispielsweise KWS EXQUIS, INTEGRAL und FACINATION sowie die neu zugelassenen Sorten KWS CHILIS und die zweizeiligen Sorten ORCADE und ORGANA. Zwar können auch diese Sorten das Virus in geringerem Maße vermehren und verbreiten, ähnlich den nematodentoleranten Zuckerrüben reagieren sie bei einem Befall mit GVV aber mit deutlich geringeren Ertragsverlusten. Daher kann beim Anbau von Ryd2-toleranten Sorten auf den Einsatz von Insektiziden verzichtet werden, wenn der Befall mit Blattläusen und die daraus resultierende Viruslast nicht zu hoch sind. Bei starkem Krankheitsdruck (frühe Aussaat, warme Witterung, räumliche Nähe zu Mais oder Ausfallgetreide) kann allerdings auch in diesen Sorten ein angepasster Insektizideinsatz erforderlich sein.

Die neuen Hybridsorten SY KESTREL und SY ZOOMBA hingegen sind durch ein Ryd4-Gen aus der Knollengerste Hordeum bulbosum nach Angaben des Züchters sogar vollständig resistent und tolerant gegenüber Gerstengelbverzwergungsviren. Gewächshausversuche bestätigen, dass in den resistenten Pflanzen die Vermehrung des Virus und damit potentiell die Ausbreitung im Bestand verhindert wird. Auch in speziellen Provokationsversuchen reagierte die Ryd4-resistente Sorte SY ZOOMBA weniger empfindlich auf GVV als die Ryd2-toleranten Sorten. Allerdings weisen die bisherigen Ergebnisse auch darauf hin, dass unter extremen Befallsbedingungen nach wie vor keine vollständige Toleranz besteht.

Resistent oder tolerant

Die beiden Begriffe „resistent“ und „tolerant“ werden in der Literatur und in der Praxis (leider) nicht immer einheitlich genutzt. Allerdings hat es sich zumindest in der (agrar-)wissenschaftlichen Kommunikation überwiegend durchgesetzt den Begriff „Resistenz“ als die Fähigkeit einer Pflanze die Infektion und Vermehrung einer Krankheit oder eines Schädlings zu reduzieren (Antonym: Anfälligkeit) und den Begriff „Toleranz“ als die Eigenschaft auch unter Befallsdruck geringere Ertragsverluste zu erleiden (Antonym: Empfindlichkeit). Beide genannten Merkmale können grundsätzlich sowohl quantitativ als auch qualitativ ausgeprägt sein und sind oft, aber nicht zwingend, miteinander korreliert.

Beispielsweise lässt sich die Wirt-Parasit-Interaktion zwischen dem Gelbmosaikvirus Typ 1 und einer GMV1-resistenten Sorte als vollständig (qualitativ) resistent und tolerant beschreiben, die zwischen dem Gelbmosaikvirus Typ 2 und der identischen Sorte andererseits als vollständig anfällig und empfindlich. GVV-tolerante Sorten sind zwar nach wie vor relativ anfällig gegenüber dem Gerstengelbverzwergungsvirus (= schwache Resistenz), reagieren aber deutlich weniger empfindlich (= mittlere Toleranz).

Die mlo-Resistenz in Gerste verhindert zwar vollständig den Befall mit Mehltau, gleichzeitig führt die hypersensitive Reaktion aber dazu, dass die Pflanze gestresst wird und auch empfindlicher gegenüber anderen biotischen und abiotischen Faktoren reagiert. Gegenüber den meisten Krankheiten der Gerste (Rhynchosporium, Netzflecken, Zwergrost, Ramularia) bestehen bisher nur quantitative Resistenzen. Deutlich komplizierter wird es vor allem, wenn verschiedene quantitative oder qualitative Resistenzen eine unterschiedliche Wirkung gegenüber verschiedenen Rassen oder Stämmen einer Krankheit oder eines Schädlings haben (z.B. Gelbrost in Weizen, Kohlhernie in Raps, Kartoffelzystennematoden)

Versuche für die Praxis

Mit durchschnittlichen Erträgen von 75,9 dt/ha in Greven und 91,8 dt/ha auf Haus Riswick (Pfalzdorf) bis 124,9 dt/ha auf Gut Ving (Nörvenich) repräsentieren die Landessortenversuche der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen die Praxis. Die verschiedenen Ertragsniveaus resultierten vor allem aus der unterschiedlichen Wasserhaltefähigkeit der Böden und den differenzierten Niederschlägen. Diese beeinflussten darüber hinaus den Krankheitsdruck, der in den zweistufig durchgeführten Prüfungen zu durchschnittlichen Ertragsverlusten von nur 1-3% in Greven und Pfalzdorf bis zu 21-22% in den beiden Versuchen in der Köln-Aachener Bucht und auf Haus Düsse (Ostinghausen) führte. Abgesehen vom Befall mit Zwergrost trat in mehreren Versuchen und vor allem bei reduziertem Wachstumsreglereinsatz zusätzlich Lager auf, das zwar nur selten zu Ertragsverlusten führte, aber die Ernte deutlich erschwerte. Bei den Versuchen in Venrath war nach einem Starkniederschlag das Lager leider sogar so stark, dass eine zuverlässige Ertragsauswertung nur noch für einige der geprüften Sorten möglich war. Darüber hinaus bestätigen sich auch in den Versuchen die hohen Qualitäten der diesjährigen Ernte mit durch- schnittlichen Hektolitergewichten von 68,9-72,9 kg.

Die nordrhein-westfälischen Versuche werden für die länderübergreifende und mehrjährige Auswertung durch 5 weitere Standorte aus Niedersachsen und 2 Standorte aus Hessen ergänzt, in denen zwar meist etwas geringere Erträge und Qualitäten erzielt wurden, die aber trotzdem zu einer zuverlässigeren Sortenbewertung beitragen. Geprüft wurden an den 8 nordrhein-westfälischen Standorten insgesamt 16 Wintergersten und regional bis zu 4 weitere Anhangsorten mit besonderen Anbau- oder Qualitätseigenschaften. Die meisten der insgesamt 8 neu aufgenommenen Wintergerstensorten besitzen zusätzliche Virusresistenzen und/oder -toleranzen.

Julia: eine für (fast) alle

Julia (GMV1+2) hat bundesweit eine Saatgutvermehrung von über 5000 ha erreicht und reiht sich damit ein in die „großen Sorten“ der vergangenen Jahrzehnte. Zusammen mit ihrer Schwestersorte Avantasia (die bundesweit nur etwa 1/10 der Saatgutvermehrung erreicht) wird sie in Nordrhein-Westfalen auf fast 50% der Wintergerstenfläche angebaut. Diese große Anbaubedeutung begründet sich vor allem in den hohen und stabilen Erträgen in Kombination mit dem insgesamt sehr „runden“ Sortenprofil. Julia erzielte auch diesjährig wieder mindestens leicht überdurchschnittliche Erträge in allen nordrhein-westfälischen Versuchen und wird in der länderübergreifenden und mehrjährigen Auswertung nur von den Hybriden und der neuen Sorte KWS Chilis übertroffen, die allerdings erst einjährig geprüft ist. Abgesehen von den hohen und stabilen Erträgen zeichnet sich die Sorte durch eine gute Standfestigkeit sowie eine mittlere Strohstabilität und überdurchschnittliche Blattgesundheit aus. Die durchschnittlichen Ertragsverluste bei reduziertem Pflanzenschutz liegen mit 13% auf einem geringen Niveau und bestätigen die einfache Kulturführung der Sorte. Auch aufgrund der zusätzlichen GMV2-Resistenz wird Julia für alle Anbaugebiete empfohlen. Die größten Schwächen der Sorte sind die etwas höhere Anfälligkeit gegenüber Rhynchosporium, das durchschnittlich etwas geringere Hektolitergewicht und die (im Vergleich zu einigen neueren Sorten) fehlende Resistenz/Toleranz gegenüber Gerstengelbverzwergungsviren.

Früher, später, länger

Betriebe, die nicht alles auf Julia setzten möchten oder eine frühere, spätere oder längere Sorte suchen, können auf eine relativ große Auswahl an alternativen Sorten mit teils sehr unterschiedlichen Anbau- und Qualitätseigenschaften zurückgreifen:

Esprit zählt mehrjährig nach wie vor zu den ertraglich leicht überdurchschnittlichen Sorten, kann vor allem unter trockenen Bedingungen aber nicht immer überzeugen. Die Sorte ist relativ spät, langstrohig und durchschnittlich standfest und schwächelt auch sonst nur bei der Anfälligkeit gegenüber Zwergrost. Mit einer Saatgutvermehrung von über 1500 ha steht Esprit nach wie vor an zweiter Stelle der bundesweit angebauten Sorten und wird auch daher weiter für alle Anbaugebiete empfohlen.

Avantasia (GMV1+2) erzielt in den meisten Anbaugebieten zwar durchschnittlich etwa 2-4% geringere Erträge als Julia, kann vor allem in der Köln-Aachener Bucht aber ebenfalls mit guten Ertragsleistungen überzeugen. Diese resultieren überwiegend aus der etwas früheren Reife, die sich besonders bei früher Trockenheit und/oder Hitze positiv auf die Ertragsbildung auswirken kann. Bedingung für einen erfolgreichen Anbau ist allerdings ein angepasster Pflanzenschutzeinsatz um die geringere Standfestigkeit und Strohstabilität sowie die sehr hohe Anfälligkeit gegenüber Krankheiten zu kompensieren.

SU Jule wird als ältere Sorte nur noch in den Mittel- und Höhenlagen geprüft, überzeugt dort aber nach wie vor mit überdurchschnittlichen Erträgen. Darüber hinaus sind die sehr gute Standfestigkeit und Strohstabilität der Sorte sowie das im Vergleich zu den vorgenannten Sorten höhere Hektolitergewicht positiv zu bewerten. Allerdings zu beachten ist die sehr hohe Anfälligkeit gegenüber Mehltau.

Winnie ist im Vergleich zu SU Jule noch etwas später und daher auf eine sehr gute Wasserversorgung angewiesen. Mehrjährig erzielt die Sorte auf mittleren bis guten Böden potentiell überdurchschnittliche Korn- und zusätzlich auch hohe Stroherträge. Winnie ist relativ gesund aber höchstens durchschnittlich standest und relativ wenig strohstabil. Das Hektolitergewicht ist mindestens durchschnittlich.

SU Hettie (GMV1+2) kann ertraglich zwar weder mit Julia und selbst nicht mit Avantasia mithalten, überzeugt aber nach wie vor durch die hohe Standfestigkeit und Strohstabilität. Damit ist die Sorte vor allem für hoch nährstoffversorgte Standorte oder bei reduziertem Wachstumsreglereinsatz geeignet. Die etwas überdurchschnittliche Anfälligkeit gegenüber allen Blattkrankheiten sollte allerdings beachtet werden. Das geringe Hektolitergewicht kann eine abschlagsfreie Vermarktung der Ernte erschweren.

GVV-tolerante Sorten

Sorten mit einer erhöhten Widerstandsfähigkeit gegenüber Gerstengelbverzwergungsviren (GVV) gewinnen am Markt zunehmend an Bedeutung. Das liegt auch daran, dass sich die Ertrags- und Anbaueigenschaften dieser Sorten in den vergangenen Jahren zunehmend verbessert haben.

KWS Exquis (GVV) erzielt in den niederrheinischen und westfälischen Niederungen mehrjährig stabile Erträge, überzeugt aber besonders durch die im Vergleich zu vielen anderen GVV-toleranten Sorten besseren Anbaueigenschaften: Die Sorte ist relativ standfest und strohstabil, überdurchschnittlich blattgesund und damit vor allem auch für den eher extensiven Anbau und frühere Aussaaten geeignet.

Integral (GVV) ist vor allem in der Köln-Aachener Bucht die bessere Alternative zu KWS Exquis und erzielt unter den regionalen Bedingungen durchschnittlich bis zu 5% höhere Erträge. Integral ist relativ standfest und strohstabil, allerdings sehr anfällig für Mehltau und weniger gesund gegenüber anderen Blattkrankheiten. Aufgrund der relativ geringen Winterhärte ist der Anbau in den Mittel- und Höhenlagen kritisch zu bewerten. Das hohe Hektolitergewicht kann sich positiv auf die Vermarktung auswirken.

Fascination (GVV) ist im Vergleich zu den vorgenannten Sorten zwar weniger ertragsstabil, erzielt durchschnittlich aber etwas höhere Erträge und ist im Vergleich die gesündeste der aktuell geprüften GVV-toleranten mehrzeiligen Sorten. Aufgrund der sehr frühen Entwicklung ist Fascination bevorzugt für späte Aussaaten geeignet und erfordert eine rechtzeitige Kulturführung. Der Wachstumsregler- und Fungizidbedarf sind gering. Aufgrund der nicht nachgewiesenen GMV1-Resistenz sollte der Anbau auf Standorten mit bekanntem Gelbmosaikvirusdruck vorerst unterbleiben.

KWS Chilis (GMV1+2, GVV) überzeugt im ersten Prüfjahr nicht nur durch den 3-fachen Virenschutz gegenüber GMV1+2 und GVV, sondern auch mit teils deutlich überdurchschnittlichen Erträgen auf allen mittleren bis guten Standorten. Die relativ langstrohige Sorte ist etwas später in der Entwicklung als die vorgenannten GVV-toleranten Sorten und erfordert einen deutlich höheren Wachstumsreglereinsatz. Auch wenn die Blattgesundheit insgesamt als gering zu bewerten ist resultieren die ermittelten Ertragsverluste überwiegend aus der sehr hohen Anfälligkeit gegenüber Zwergrost, der sich in der Praxis aber leicht mit einer angepassten Fungizdistrategie kontrollieren lässt. Gegenüber den schwieriger zu bekämpfenden Blattkrankheiten Rhynchosporium, Netzflecken und vor allem Ramularia hingegen ist die Sorte überdurchschnittlich gesund. Das relative Hektolitergewicht von KWS Chilis liegt etwa auf dem Niveau von Julia oder Esprit. Der Anbau zur Probe empfiehlt sich für alle besser versorgten Standorte.

Neuerungen bei den Hybriden?

Der züchterische Fortschritt bei den Hybridgersten hat sich in den letzten Jahren eher verlangsamt. Die neu zugelassenen Sorten mit zusätzlicher Resistenz gegenüber dem Gelbmosaikvirus Typ 2 (GMV2) oder Gerstengelbverzwergungsviren (GVV) können ertraglich bisher noch nicht vollständig überzeugen.

SY Galileoo (Hy) erzielte zur diesjährigen Ernte zwar gute Erträge, liegt mehrjährig aber nur 1-2% über den Erträgen von Julia oder KWS Chilis. Aufgrund der im Vergleich zu SY Dakoota deutlich geringeren Standfestigkeit, Strohstabilität und Qualität wird SY Galileoo nur noch für Betriebe mit positiven Anbauerfahrungen oder einer Spezialisierung auf Hybridgerste empfohlen.

SY Dakoota (Hy) erreicht im Vergleich zu SY Galileoo durchschnittlich 1-3% höhere Erträge und ist vor allem für eine Hybride zum einen relativ früh und zum anderen standfest und durchschnittlich strohstabil. Ausgehend von den diesjährigen Erträgen ist der Anbau gegenüber Julia so gerade wirtschaftlich, mehrjährig allerdings lassen sich die für die höheren Saatgutkosten erforderlichen Mehrerträge nicht immer erreichen. Sehr positiv zu bewerten ist das relativ hohe Hektolitergewicht für die Vermarktung.

SY Loona (Hy) erzielte als späte Hybride zur diesjährigen Ernte zwar durchschnittlich geringere Erträge als SY Galileoo und SY Dakoota, ist auf besser wasserversorgten Standorten aber eine realistische Alternative zu den vorgenannten Sorten. Bei der Kulturführung sind die geringere Standfestigkeit und Strohstabilität zu beachten. Dahingegen zählt SY Loona insgesamt zu den gesündesten Sorten

Zweizeiler mit regionaler Bedeutung

Zweizeilige Sorten erzielen in den bundesweiten Wertprüfungen zwar oft gute Ergebnisse, können unter den nordrhein-westfälischen Anbaubedingungen aber meist nur bedingt überzeugen. Auf sehr leichten Böden sind sie eine mögliche Alternative und erreichen meist deutlich bessere Qualitäten.

KWS Tardis (zz) hat sich zwar mehrjährig bewährt, erzielte in dieser Ernte aber nur ein schwächeres Ergebnis und wird daher nur noch eingeschränkt für den qualitätsbetonten Anbau auf den leichteren Standorten empfohlen. Positiv gegenüber den anderen zweizeiligen Sorten ist die gute Standfestigkeit.

SU Laubella (zz) wurde aufgrund der mehrjährig guten Ergebnisse in Niedersachsen diesjährig wieder in die regionale Prüfung auf leichten Standorten aufgenommen. Die Sorte erzielt durchschnittlich zwar nur ähnlich geringere Erträge wie KWS Tardis ist aber gesünder und daher eine mögliche Alternative.

Annemiek (zz) wurde diesjährig erstmals mit guten Ergebnissen auf den leichten Standorten geprüft, erzielte aber bereits in den vorhergehenden Wertprüfungen hohe Erträge und wird daher eingeschränkt für dem regionalen Anbau zur Probe empfohlen. Die Sorte ist zwar weder so standfest wie KWS Tardis noch so gesund wie SU Laubella, lässt insgesamt aber deutlich bessere Erträge erwarten.

KWS Donau (zz) erreicht zwar nicht ganz das Ertragsniveau der vorgenannten zweizeiligen Sorten, lässt sich bei ausreichender Qualität aber auch als Braugerste vermarkten und kann dann einen etwas höheren Preis erzielen. Bevor der Anbau erfolgt sollten die regionalen Vermarktungsoptionen geklärt sein, da sich bei der aktuell geringen Braugerstenprämie ein weiter Transport nur selten rechnet.

Die sonstigen Kandidaten

Aktuell (noch) keine Anbauempfehlung erhalten die neuen Sorten Stella (standfest und gesund, gute Erträge nur auf Sand), Charmant (GMV1+2, wenig standfest und strohstabil, gute Erträge nur in der Köln-Aachener Bucht), die zweizeilige Sorte Organa (GVV, sehr hohe Ertragsschwankungen), sowie die Hybridsorten SY Heroo (GMV1+2) und SY Zoomba (GVV), beide mit im Vergleich zu alternativen Liniensorten noch zu geringen Erträgen. Die genannten Sorten sollen zumindest regional weitergeprüft werden. Bei den mehrjährig geprüften Sorten ohne eine Anbauempfehlung ist dies hingegen fraglich.

Nicht zu früh und nicht zu spät

Der optimale Aussaatzeitraum ist bei Wintergerste geringer als bei anderem Wintergetreide. Dennoch gibt es Situationen in denen eine Spätsaat gegenüber der Normalsaat bestimmte Vorteile bietet: Dazu zählen schwierige Aussaatbedingungen zum geplanten Saattermin oder das integrierte Management von Ackerfuchsschwanz, Gelbverzwergungsviren und herbstbürtigen Krankheiten. Auch einige Sorten mit einer sehr raschen Jugendentwicklung (z.B. Integral, Fascination) sollten nicht zu früh gesät werden, um ein Überwachsen der Bestände vor dem Winter zu vermeiden. Ausgehend von den mehrjährigen Spätsaatversuchen der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen führt eine um 2 Wochen spätere Aussaat zu durchschnittlichen Mindererträgen von 2-8%. Diese resultieren allerdings oft nicht nur aus der kürzeren Vegetationszeit, sondern auch aus der versuchstechnisch bedingt nicht immer optimalen Bodenvorbereitung, die sich in der Praxis gegebenenfalls flexibler an die Bedingungen anpassen lässt.

Bei den von 2023-2025 durchgeführten Versuchen zur extremen Spätsaat etwa 4 Wochen nach dem optimalen Saattermin wurden durchschnittliche Ertragsverluste von 14-15% ermittelt. Derart späte Aussaaten werden bisher nicht empfohlen, können aber unter anderem daraus resultieren, wenn die Böden im Herbst aufgrund vorhergehender Niederschläge nur langsam abtrocknen oder wenn ab 2027 durch den Wegfall von Flufenacet als Herbizid die Ungrasbekämpfung in Wintergerste deutlich erschwert wird. Auch wenn extrem späte Aussaaten von Wintergerste fast immer mit Mindererträgen verbunden sind, erzielen diese nach wie vor mindestens 20-40% höhere Erträge als der Anbau vom Sommerfuttergerste, der darüber hinaus deutlich anfälliger auf Frühlings- oder Sommertrockenheit reagiert.

Als spätsaatverträglich haben sich in mehrjährigen Versuchen die beiden aktuellen Hauptempfehlungen Julia und SY Dakoota bewährt. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass sich auch bestimmten Sorten mit einer schnellen Jugendentwicklung und hohen Bestockungsleistung gut für spätere Aussaaten eignen. Dies gilt beispielsweise für die beiden GVV-toleranten Sorten Integral und Fascination, bei denen dann auch zuverlässig auf eine Insektizidmaßnahme im Herbst verzichtet werden kann.

Sonderbeizung nur bei Bedarf

Die zusätzliche Beizung von Wintergerste mit Latitude XL führte in den vergangenen Jahren zu durch- schnittlichen Mehrerträgen von etwa 2% gegenüber der mit Vibrance Trio gebeizten Variante. Allerdings zeigte sich dieser Effekt vor allem beim Anbau nach Getreidevorfrucht und meist auf Standorten, auf denen ein hoher Befallsdruck mit Schwarzbeinigkeit festgestellt wurde. Ausgehend von den aktuellen Marktpreisen wird eine zusätzliche Beizung von Wintergerste mit Latitude XL daher nur für Standorte und Situationen empfohlen, die einen erhöhten Befall mit Schwarzbeinigkeit erwarten lassen.

Dahingegen führte die Sonderbeizung mit Systiva (333 g/l Fluxapyroxad) gegen Auflauf- und frühe Blattkrankheiten in Kombination mit intensivem Pflanzenschutz durchschnittlich zu keinen signifikanten Mehrerträgen, die eine Anwendung in der Praxis begründen könnten. Allein in der nicht praxisüblichen Stufe ohne Fungizide wurden Mehrerträge von maximal 7% erzielt, die sich aber ebenso durch eine angepasste Fungizidstrategie erreichen lassen. Auch aufgrund der mit dem carboxamiden Wirkstoff einhergehenden Resistenzproblematik wird der Einsatz als Beizmittel in Wintergerste nicht empfohlen.

Autor: Johannes Roeb, Heinz Koch, Landwirtschaftskammer NRW