Gefahr durch Kriebelmücken

Kriebelmücken an Schafen
Flächige Rötungen an den Innenflächen der Hinterschenkel mit punktförmigen Blutungen insbesondere im Bereich des Hodensackes

Kriebelmücken an Schafen
Rötung und Schwellung der Haut beidseitig an den Innenseiten der Ellenbogengelenke und der angrenzenden Brustwand. Fotos: Peter Deimling. Klicken zum Vergrößern!

Im August 2010 wurde der Schafgesundheitsdienst der Landwirtschaftskammer NRW über Verluste von Schafen durch Kriebelmückenbefall informiert. Einige Veterinärämter in Nordrhein-Westfalen hatten bereits vor einigen Monaten über die Medien Kriebelmücken-Warnhinweise aufgrund der hochsommerlichen Temperaturen ausgegeben. Die stark schwankenden und überdurchschnittlichen Temperaturen in den letzten Monaten haben in diesem Jahr offenbar zu einer erhöhten Aktivität der Kriebelmücken geführt.

Bei den Kriebelmücken handelt es sich um 1,5 bis 5 Millimeter große, schwarz-graue Fliegen-ähnliche Insekten, die ihre Eier auf Pflanzen oder Steinen nahe der Wasseroberfläche bzw. artspezifisch auch direkt in das Wasser von Fließgewässern ablegen. Auffallend sind ihr relativ robuster Kopf, ihre kurzen Beine und die breiten horizontal übereinander liegenden Flügel. Bei Temperaturen über 8°C schlüpfen die Larven nach 3 bis 8 Wochen aus den Eiern über bis zu 6 Stadien, über ein Puppenstadium entwickeln sich nach 8 bis 10 Tagen die flugfähigen Insekten. Witterungsabhängig ist mit einer Gefährdung von Mensch und Tier in der Zeit von März bis November, schwerpunktmäßig in den Monaten April und Mai sowie August und September zu rechnen. Optimale Entwicklungsbedingungen mit synchronem Massenschlupf einzelner Larvengenerationen bestehen bei einem Wechsel von längeren kühlen Perioden zu anhaltend warmem, windstillem Wetter bei gleichzeitig hoher Luftfeuchtigkeit.

Im Gegensatz zu den sich von Pflanzensäften ernährenden Männchen befallen bei entsprechenden Biotop- und Witterungsvoraussetzungen nur die weiblichen Kriebelmücken bevorzugt in den Morgenstunden und am späten Nachmittag in Schwärmen weidende Pferde, Rinder, Schafe oder Ziegen. Die Insekten können dabei Distanzen von über 10 Kilometer zurücklegen.

Schafe versammeln sich anfangs im Kreis und versuchen so in der Mitte die Köpfe zu schützen. Auf ihrer anschließenden panikartigen Flucht vor den Insekten ziehen sich die Tiere nicht selten Verletzungen zu, indem sie in großer Unruhe mit dem Schwanz, den Extremitäten und dem Kopf schlagend unter Bäumen, Unterständen oder in Gewässern Schutz suchen. Bei Panikausbrüchen können, wie in diesem Fall bei einem Mutterschaf beobachtet, Tiere sogar in Untiefen von Gewässern ertrinken. Hindernisse wie Stacheldrähte führen nicht selten zu Verletzungen am Euter oder den Beinen.

Dabei setzten die Insekten innerhalb von 10 bis 15 Minuten an Kehlgang, Brust, Hals, im Bereich des Euterspiegels und des Euters bzw. der Hoden tausende Stiche. Charakteristisch sind zahlreiche nadelstichartige Einstichstellen, die man regelmäßig an den unpigmentierten Hautarealen beobachten kann. Bei Schafen sind nicht selten neben den Genitalorganen die wollfreien Bereiche des Ellenbogens bzw. der Innenschenkel der Hinterschenkel betroffen. Diese Regionen sind durch Abwehrreaktionen der Wirtstiere meist nur sehr schwer zu schützen. Aufgrund der Gefäß-schädigenden Wirkung der Toxine im Speichel der Kriebelmücken kommt es zu starken Anschwellungen der Haut, sog. Ödemen, die sich anfangs sehr heiß anfühlen. Nicht selten beobachtet man als Ausdruck der herabgesetzten Gerinnungsfähigkeit sogar flächenhafte Blutansammlungen unter der Haut, insbesondere wenn es lokal zu einer hohen Stichfrequenz und bzw. oder zu zusätzlichen mechanischen Irritationen durch Reibungen der geschwollenen Haut im Bereich des Ellbogens bzw. der Hinterschenkel kommt. Die mit dem Speichel der Insekten übertragenen Toxine können auch innerhalb weniger Stunden ein Lungenödem provozieren und über Kreislaufversagen mit Anstieg der Körpertemperatur deutlich über 39°C zum Tod einzelner Tiere führen.

Weniger stark betroffene Tiere lassen sich noch durch rechtzeitiges tierärztliches Eingreifen mittels Kreislaufstabilisierung, Verabreichung entzündungshemmender und schmerzstillender Präparate bei gleichzeitigem Aufstallen retten.

Sowohl die flächenhaften Rötungen im Bereich der Einstichstellen als auch die Schwellungen bleiben, wie in dem beschriebenen Fall, noch mehrere Wochen nach dem Kriebelmückenangriff bestehen. In gefährdeten Gebieten mit Fließgewässern empfiehlt sich im Frühjahr ein um 10 bis 14 Tage verspäteter Austrieb der Tiere. Das Scheren der Schafe kann in gefährdeten Gebieten ausnahmsweise etwas hinausgeschoben werden. Bei sehr starker Belastung muss man die Weidegebiete mit den Brutgewässern großräumig meiden, allenfalls ihre Nutzung auf kühle, regnerische Tage beschränken oder nur nachts die Beweidung zulassen. Kann man auf eine Nutzung der Weiden nicht verzichten, sollte man die Tiere wenigstens zweimal am Tag in den Phasen des Anflugmaxima der Insekten, etwa in der Zeit von 10 bis 12 Uhr, und nachmittags von 17 Uhr bis Sonnenuntergang, überprüfen. Relativen Schutz für 10-14 Tage bietet das Aufbringen von Pyrethroiden im Pour-on-Verfahren, wie es bereits als Schutz gegen die Gnitzen als Überträger der Blauzunge praktiziert wurde.

Betroffene Tiere sind auf jeden Fall, nicht nur im Sinne des Tierschutzes zur Linderung der akuten Symptome sondern auch zur Vermeidung von leistungsmindernden Langzeitschäden am Herzkreislaufsystem, aufzustallen und einer tierärztlichen Behandlung zu unterziehen.

Autor: Dr. Wilfried Adams