Deckbulle im Einsatz und doch keine Kuh tragend?

Nicht wenige Landwirte setzen neben, bisweilen sogar statt der instrumentellen Besamung Deckbullen ein, um eine zufrieden stellende Fruchtbarkeit ihrer Herd zu gewährleisten. Dabei wird in aller Regel davon ausgegangen, dass der erworbene Bulle „voll funktionsfähig ist“. Doch leider ist dies nicht immer so. Welche Ursachen dafür in Frage kommen und was man tun kann, um unliebsame und kostenträchtige Überraschungen zu vermeiden, schildern Dr. Hubert Brentrup und Dr. Peter Heimberg vom Rindergesundheitsdienst der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen.

Unfruchtbarer Bulle kann teuer werden

Bevor auf einer Besamungsstation ein Bulle in die „Produktion“ geht, d.h. zur Samengewinnung für die instrumentelle Besamung herangezogen wird, wird er einer eingehenden zuchthygienischen Untersuchung unterzogen. Neben züchterischen und klinischen Gesichtspunkten kommt hierbei der Qualitätsprüfung des von dem betreffenden Bullen produzierten Samens eine entscheidende Bedeutung zu. Erst wenn zweifelsfrei nachgewiesen ist, dass der Samen die von ihm geforderten Eigenschaften voll erfüllt, wird der Bulle für den Besamungseinsatz freigegeben. Durch diese Vorgehensweise stellen die Besamungsorganisationen ihren Kunden gegenüber sicher, dass nur für die instrumentelle Besamung geeignetes Sperma zum Einsatz kommt.

Was aber passiert mit den Deckbullen, die in den Milchviehbetrieben im Natursprung eingesetzt werden? Diese Tiere, die im wesentlichen von den Zuchtorganisationen über Auktionsveranstaltungen oder „ab Hof“ verkauft werden, sind von züchterischer Seite hinsichtlich ihrer Abstammung und Leistungsmerkmale geprüft, eine spezielle Untersuchung der Geschlechtsgesundheit wird in der Regel aber nicht durchgeführt. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass ein äußerlich gesunder Bulle eine dermaßen schlechte Spermaqualität aufweist, dass er trotz normal ausgeführten Deckacktes kein Tier zu befruchten vermag. Wenn dieser Fall unter statistischen Gesichtspunkten auch zu vernachlässigen ist und der Schaden im Verhältnis zu der Zahl der geschlechtsgesunden Bullen insgesamt gering ausfällt, so kann dem einzelnen Milcherzeuger, der zufällig einen zeugungsunfähigen Bullen erworben hat, sehr wohl ein ganz erheblicher Schaden enstehen.

Wie groß dieser Schaden im Einzelfall tatsächlich ist, hängt unter anderem davon ab, ob der Bulle nur gelegentlich (als „Ausputzer“) oder generell bei allen brünstigen Tieren eingesetzt wird und wie schnell der Verdacht aufkommt, dass mit diesem Bullen etwas nicht stimmen könnte. Ist der betreffende Bulle dabei zu 100% befruchtungsunfähig, so wird der Mangel ob der plötzlichen Vielzahl der auftretenden Umbuller noch relativ früh entdeckt werden. Handelt es sich aber um einen Bullen, welcher nur eingeschränkt befruchtungsfähig ist, und wird er auch nur gelegentlich eingesetzt, etwa bei den sogenannten Problemkühen, so kann es unter Umständen mehrere Monate dauern, bis der Verdacht auf Unfruchtbarkeit bzw. mangelnde Fruchtbarkeit des Bullen aufkeimt. Zu den Kosten für die verlängerten Zwischenkalbezeiten kommen dann oft noch Untersuchungs- und Behandlungskosten von Seiten der nicht tragend werdenden Kühe, bei denen man irrtümlich nach der Ursache sucht.

Gründe für die Unfruchtbarkeit

Grundsätzlich lassen sich beim männlichen Tier 2 Hauptformen der Fruchtbarkeitsstörung unterscheiden:

Unter der „Impotentia coeundi“ versteht man die Unfähigkeit, den Paarungsakt in der artgerechten Weise zu vollziehen. Ursache hierfür können beispielsweise entzündliche Veränderungen oder gar Verwachsungen, aber auch Blutergüsse, Tumore oder Abszesse im Bereich von Penis und Vorhaut sein. Aber auch Klauen- und Gelenkserkrankungen können den Deckakt behindern oder gar unmöglich machen. Eine gründliche klinische Allgemeinuntersuchung des Bullen und die spezielle klinische Untersuchung des Harn- und Geschlechtsapparates bringen diese Gründe meistens recht schnell zu Tage. Sind Heilungschancen gegeben (z.B. beim Vorliegen von Klauenerkrankungen), so sind diese möglichst umgehend zu nutzen. Anderenfalls ist der betreffende Bulle sofort vom Einsatz in der Zucht auszuschließen und, wenn noch möglich, direkt oder nach einer vorangestellten Mastperiode zu verwerten.

Im Gegensatz dazu wird unter der „Impotentia generandi“ die Unfruchtbarkeit als Folge einer Störung der Hoden- und Nebenhodenfunktion verstanden. Hierbei ist die Bildung und Ausreifung der Spermien derart beeinträchtigt, dass es zu einer verminderten Zeugungsfähigkeit oder gar zu völliger Zeugungsunfähigkeit kommt. Betroffene Tiere zeigen also ein völlig normales Deckverhalten, befruchten aber nicht. Als Ursache kommen angeborene oder im Laufe des Lebens erworbene Defekte des keimbildenden Gewebe in Betracht. Ein Beispiel für einen angeborenen Defekt ist die ein- oder beidseitig auftretende Kleinhodigkeit. Beim Bullen eher selten, beim Eber dagegen vergleichsweise häufig auftretend, ist der sogenannte Kryptorchismus. Es handelt sich um einen genetischen Defekt, bei dem der Abstieg der Hoden von der Bauchhöhle in den Hodensack nur unvollständig oder gar nicht erfolgt (vergleiche Binneneber oder Klopphengst). Erworbene Defekte sind meistens auf entzündliche Veränderungen von Hoden und Nebenhoden zurückzuführen. Während die früher relativ häufig vorkommende Brucellose nur noch sehr selten nachgewiesen wird, findet man heute überwiegend Streptokokken und coliforme Keime als Ursache von Hodenentzündungen. Als Folge der Entzündungen kommt es zu binegewebigen Veränderungen des Hodengewebes mit anschließender Vernarbung, Funktionslosigkeit und Verkleinerung (Atrophie). Derartige organische Veränderungen, die auch rein mechanisch durch Tritte oder Quetschungen verursacht werden können, sind irreparabel, betroffene Tiere sind als dauerhaft zuchtuntauglich zu beurteilen.

Untersuchung
Bild 1: spezielle klinische Untersuchung der Geschlechtsorgane

Gewinnung
Bild 2: Samengewinnung mittels der künstlichen Scheide und unter Zuhilfenahme eines Sprungpartners

Ejakulat
Bild 3: 2 grobsinnlich bereits sehr unterschiedliche Ejakulatqualitäten und -mengen, links mit zu geringer Spermiendichte

Neben diesen „primären“ Geschlechtsdrüsen (Nebenhoden und Hoden) verfügen männliche Säugetiere auch noch über „akzessorische“ Geschlechtsdrüsen, die bei den verschiedenen Tierarten in Anzahl und Form unterschiedlich vorkommen. Bekanntester Vertreter dieser Drüsen ist die auch beim Menschen vorkommende und dort häufig Probleme verursachende Prostata. Die akzessorischen Geschlechtsdrüsen produzieren unterschiedlich zusammengesetzte Sekrete, die für die Befruchtungsfähigkeit der Samenflüssigkeit essentiell sind. Entzündungen und Infektionen dieser Drüsen können die Fruchtbarkeit sehr negativ beeinflussen.

Besteht bei einem Bullen ein auffälliges, ausgeprägtes Desinteresse an seinen weiblichen Artgenossen, wird das als mangelnde oder gar völlig fehlende Libido (Geschlechtslust) bezeichnet. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und bedürfen einer eingehenden Beobachtung und Untersuchung. So kommen z.B. psychsiche Ursachen (veränderte Umgebung, fehlender Kontakt zu Artgenossen, Angstzustände durch negative Erfahrungen), organische Ursachen wie Klauenerkrankungen oder zu starke sexuelle Beanspruchung in Frage. Ob in solchen Fällen eine Aussicht auf Besserung besteht, kann nur von Fall zu Fall und unter Einbeziehung der Haltungsbedingungen entschieden werden. 

Die andrologische Untersuchung

Die andrologische Untersuchung eines Bullen umfasst im wesentlichen

  1. die allgemeine klinische Untersuchung
  2. die spezielle Untersuchung der Geschlechtsorgane und
  3. die Samenuntersuchung.

Auf die allgemeine klinische Untersuchung soll in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werde. Die spezielle Untersuchung der Geschlechtsorgane (Bild 1) beinhaltet nicht nur die Beurteilung von Hoden, Hodensack, Vorhaut und Penis, sondern auch der in der Beckenhöhle liegenden akzessorischen Geschlechtsdrüsen. Dazu kommt noch die Einschätzung der Libido sowie das Ablaufen der Paarungsreflexkette selbst im Zuge der Samengewinnung mit der künstlichen Scheide im Beisein eines natürlichen Sprungpartners (Bild 2). Dieser Sprungpartner sollte dabei möglichst brünstig sein und von der Größe her dem Bullen angemessen ausgewählt werden.

Der gewonnene Samen zweier Sprünge wird dann vor Ort und weiterführend im Labor auf seine Menge, seine Spermiendichte und eventuelle Beimengungen untersucht (Bild 3). Zusätzlich zur ihrer Anzahl wird die Bewegungsaktivität der Spermien direkt nach dem Sprung sowie über weitere 72 h in enstprechenden, das Milieu des weiblichen Genitale simulierenden Verdünnermedien untersucht. Auch die Anzahl offensichtlich defekter Spermien wird dabei ermittelt. Die Mindestanforderungen, die an Bullensamen zu stellen sind, sind in Tabelle 1 angegeben.

Tabelle 1: Mindestanforderungen an Bullenejakulate (Nach Krause 1990)

Parameter Mindestforderungen
Volumen in ml (Jungbullen bis 2 Jahre) 4,0 (2,0)
Samendichte (Spermien / cmm) > 600.000
Massenbewegung gut
Anteil vorwärtsbeweglicher Spermien vor Ort (in %) 70
Anteil vorwärtsbeweglicher Spermien in der Verdünnung nach 72 Std. (in %) 70
pH – Wert 6,4 - 7,0
Anteil morphologischer Fehlformen (missgebildete Spermien in %) < 20

Entsprechen die Ergebnisse der Samenuntersuchung diesen Anforderungen und ist der Bulle auch in der übrigen Untersuchung unauffällig, so kann eine Störung der Herdenfertilität von seiner Seite her nahezu ausgeschlossen werden. Finden sich jedoch klare Abweichungen, so kann der Bulle sofort gemäß den jeweiligen vertraglichen Bestimmungen durch einen befruchtungsfähigen Artgenossen ersetzt werden, ohne dass in der Herde größerer Schaden durch ihn verursacht werden wird. Abhängig vom geplanten Einsatz eines Bullen kann es deshalb ratsam sein, eine andrologische Untersuchung bereits vorsorglich und nicht erst beim Auftreten erster Fertilitätsstörungen durchführen zu lassen.

Autor: Dr. Hubert Brentrup und Dr. Peter Heimberg