Landessortenversuche Wintergerste 2020

Wintergerstenernte mit Claas-MähdrescherBild vergrößern
Ernte der Wintergerste

Wintergerste – das Fazit fällt unterschiedlich aus!

Mit einer Anbaufläche von 150.000 Hektar ist Wintergerste nach Winterweizen die mit Abstand die zweitgrößte Wintergetreideart in NRW. Im Vergleich zu Stoppelweizen oder Wintertriticale hat die frühere Abreife in den letzten Jahren mit längeren Trocken- und Hitzephasen im Frühjahr eher Vorteile gebracht. Wintergerste hat unter diesen Wetterbedingungen vom Klimawandel profitiert. Das Resümee der Ernte 2020 fällt sehr unterschiedlich aus. Gute Erträge mit guten Qualitäten auf guten Standorten oder schlechte Erträge mit nicht immer ausreichenden Qualitäten auf schwächeren Standorten und bei späten Saatterminen. Über die Ergebnisse der Landessortenversuche und die Konsequenzen für die Sortenwahl berichten Heinrich Brockerhoff und Heinz Koch.

Besonderheiten des Anbaujahres

Die Aussaatbedingungen im Herbst 2019 waren nicht immer optimal. Pünktlich zum normalen Saattermin unterbrachen Niederschläge die gerade beginnende Aussaat. Wer nicht sehr früh gesät hatte konnte erst sehr spät Mitte bis Ende Oktober säen. Der Anteil von Spätsaaten war selten so hoch wie im vergangenen Herbst. Nach der Saat blieb es bis auf kleine Unterbrechungen sehr nass. Die überdurchschnittlichen Temperaturen führten zu einem hohen Läusedruck und bei nicht ausreichender Behandlung mit Insektiziden zur Übertragung des Gelbverzwergung. Januar und Februar 2020 waren überdurchschnittlich warm und vor allem der Februar war extrem niederschlagsreich. Die Andüngung musste in den März verschoben werden. Pünktlich zum Beginn der Coronakrise wechselte das Wetter ab Mitte März bis Ende Mai auf extrem trocken und windig. Die Oberböden trockneten sehr schnell aus und die Bestände wuchsen in der Folge extrem auseinander. Frühsaaten mit guter Wurzelentwicklung entwickelten sich gut. Spätere Saattermine fanden aufgrund der schlechteren Wurzelentwicklung keinen Wasser- und Nährstoffanschluss, blieben dünn und entwickelten sich nur mäßig. Der Krankheitsdruck war bis auf Zwergrost extrem niedrig. Die hohen Tag-/Nachtschwankungen bei den Temperaturen führten zusätzlichem Stress. Mitte Mai brachte das Tiefdruckgebiet Britta zur Blüte der Wintergerste einen kurzen und intensiven Kälteeinbruch mit Tiefsttemperaturen von bis zu -10° Celsius. In den Höhenlagen von NRW kam es zu Laternenblütigkeit und vereinzelt auch zu Taubährigkeit. Die Schäden in NRW blieben im Vergleich zu anderen Bundesländern zum Glück eher gering.

Landessortenversuche als Grundlage der Sortenentscheidung

Wie in den Vorjahren wurden in NRW neun Landessortenversuche angelegt. Die Versuche stehen auf Löss, Lehm, Sand und in den Höhenlagen. Alle Versuche aus NRW konnten mit in die Auswertung übernommen werden. Ergänzt werden die Ergebnisse aus NRW durch Versuche aus Niedersachsen. Für Lehm, Sand und die Höhenlagen kann so über mehr Versuche die Versuchsaussage deutlich verbesset werden. Bei allen Versuchen handelt es sich um randomisierte Exaktversuche mit Wiederholung und statistischer Verrechnung, die im Vergleich zu Sortendemos sichere und verlässliche Ergebnisse liefern. In den Versuchen wurden 29 Sorten geprüft. Dabei handelt es sich um 25 mehrzeilige und 4 zweizeilige Sorten. Neu aufgenommen wurden 8 Liniensorten.

Die Prüfung erfolgte in zwei Behandlungsstufen. Neben der praxisüblichen Intensität (normale Düngung, 2 x Fungizid und 1-2 x Wachstumsregler) wurde zur Beurteilung der agronomischen Eigenschaften eine Variante ohne Fungizide und mit sehr eingeschränktem Wachstumsregler durchgeführt. Die Ertragsunterschiede zwischen den beiden Stufen in NRW lagen je nach Standort im Sortenmittel zwischen 4 und 14 dt/ha. Die höhere Intensität war im extrem gesunden Jahr 2020 sehr häufig nicht wirtschaftlich.

Wie bei der Sortenwahl vorgehen?

Gewohnter Weise geht der Blick bei der Sortenauswahl zunächst auf die Ertragsleistung der Sorten im aktuellen Jahr (Tabelle 1) an einem benachbarten oder vergleichbaren Standort. Diese Sichtweise ist verständlich aber letztendlich nicht immer richtig. Gute Sorten zeichnen sich durch Ertragskonstanz auf vielen Standorten aus. Daher ist bei einjährigen Ergebnissen der Blick auf die durchschnittliche Ertragsleistung der entsprechenden Standortgruppe und zusätzlich der Blick auf das Mittel aller Standorte wichtig. Handeln sie daher bei der Sortenwahl nach dem Motto „Viele Versuche machen mich schlauer als ein Versuch, auch wenn er vor der Haustüre liegt“.

Für eine gute Sortenwahl gibt es aber noch weitere Grundsätze, die mit dem Spruch „Ein Jahr ist kein Jahr“ beschrieben werden können. Daher muss der zweite und eigentlich noch wichtigere Blick auf die mehrjährige Ertragsleistung der Sorten (Tabelle 2) gehen. Wirklich gute Sorten zeichnen sich neben der guten Ertragsleistung im Einzeljahr durch eine hohe Ertragsstabilität unter verschiedenen Jahresbedingungen aus. In Zeiten von Klimawandel unter dem Aspekt Risikoabsicherung unabdingbar. Die zusätzliche Versuchsverrechnung nach dem „Hohenheimer Modell“ bringt hier wesentliche Vorteile. Hier werden für jede Sorte alle verfügbaren Versuchsergebnisse in die Verrechnung einbezogen. Das sind Landessortenversuche, aber auch Wertprüfungen im Rahmen der Zulassung und EU-Sortenversuche. Hierdurch lassen sich auch neue Sorten schon früh und deutlich sicherer beurteilen.

Ertrag ist nicht alles!

Wichtige agronomische Eigenschaften wie Winterhärte, Gesundheit, Virustoleranz, Standfestigkeit, Strohstabilität und hl-Gewicht spielen bei der Sortenwahl neben der Ertragsleistung eine zunehmend wichtigere Rolle. In Zeiten zunehmender Resistenzen und Zulassungseinschränkungen bei Pflanzenschutzmitteln gewinnt der „genetische Pflanzenschutz“ über Sorteneigenschaften zwangsläufig an Bedeutung. Die Einstufung der beschreibenden Sortenliste (Tabelle 3) gibt nach unseren Erfahrungen hier sehr verlässliche Informationen. Bei Bedarf wurden die Einstufungen der Sorten angepasst.

Auf Flächen mit höherer N-Nachlieferung ist Standfestigkeit gefordert. Lageranfälligere Sorten sollten hier gemieden werden. Gut standfeste Sorten wie SU Ellen oder SU Laurielle können allerdings Schwächen beim Halm- oder Ährenknicken haben. Das beste Gesamtpaket aus Standfestigkeit und guten Einstufungen bei Halm- und Ährenknicken haben die schon länger geprüften Sorten Mirabelle und SU Jule und die neuen Sorten Bordeaux und Viola.

Im Gegensatz zu Winterweizen bieten Unterschiede in der Krankheitsanfälligkeit der Sorten bei Wintergerste weniger Chancen für einen extensiveren Fungizideinsatz. Dennoch macht es Sinn, einen genaueren Blick auf die Anfälligkeit der Sorten zu werfen. Die sichere chemische Bekämpfung von Netzflecken und insbesondere Ramularia in Wintergerste wird nach dem Zulassungsende von Chlortalonil schwerer. In der Beschreibenden Sortenliste 2020 wird erstmals die Anfälligkeit für Ramularia beschrieben. Besonders anfällig sind demnach Bordeaux, Valerie, KWS Moselle und die Winterbraugerste KWS Faro. Bei den wichtigen Praxissorten schwankt die Einstufung nur sehr geringfügig. Zwergrost war im aktuellen Jahr wieder einmal die wichtigste Krankheit. Rost ist allerdings leicht, sicher und kostengünstig zu bekämpfen.

Für die Vermarktung ist das hl-Gewicht von Bedeutung. Größere Schwächen beim hl-Gewicht haben Joker und SU Ellen. Hier kann es häufiger knapp werden. Bei Sorten mit der Einstufung 5 sind in kritischen Jahren Probleme möglich.

Relativ neu als Sorteneigenschaft ist die Resistenz gegen Gelbverzwergungsvirus. Mit Paradies, Novira und Sensation gibt es hier erste zugelassene Sorte. In den Landessortenversuchen steht als Vertreter dieses Sortentyps seit zwei Jahren die Sorte Paradies. Bei leicht unterdurchschnittlichen Ertragsniveau zeigt die Sorte Schwächen bei Lager und in der Strohstabilität. Dennoch ein sehr interessanterund wichtiger neuer Züchtungsansatz. Auf Standorten mit beiden Stämmen des Gelbmosaikvirus müssen vorsorglich doppeltresistente Sorten ausgewählt werden. Die Sortenauswahl in diesem Bereich ist begrenzt.

Trotz der zuletzt milden Winter darf in Höhenlagen das Merkmal Winterhärte nicht vergessen werden. Sorten unterscheiden sich, die Unterschiede sind aber geringer ausgeprägt als beim Winterweizen. Besser als der Durchschnitt sind aus dem aktuellen Prüfsortiment KWS Keeper, KWS Kosmos und Melia. Bei neueren Sorten fehlen hier Erfahrungen.

Jeder Anbauer muss am Ende für sich entscheiden, welche Eigenschaften für ihn besonderer wichtig sind. Unter Beachtung dieser Kriterien sollte dann eine gezielte Sortenwahl erfolgen. Unter www.sortenberatung.de bietet die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen ein bewährtes Instrument für eine kostenlose und vor allen Dingen neutrale Beratung und Information zu Getreide-, Raps und Leguminosensorten. Das Programm filtert anhand des eigenen Sortenprofils unter den empfohlenen Sorten. Die Internetseite macht Sortenberatung schneller, einfacher und individueller.

Argumente für Hybridsorten?

Für Hybriden gibt es aus Sicht von Syngenta Seeds als derzeit einzigem Anbieter mit höherer Ertragsleistung, höherer N-Effizienz, besserer Vitalität, besserer Spätsaatverträglichkeit und besserer Ackerfuchsschwanzunterdrückung schlagkräftigen Werbeargumente, die es neutral zu bewerten gilt. Seit Jahren stehen Hybridsorten beim Ertrag in den Sortenversuchen zuverlässig auf den Spitzenplätzen. Auch die agronomischen Eigenschaften der Sorten bei Strohstabilität und Kornqualität haben sich verbessert. Hybriden müssen aufgrund höherer Saatgutkosten im Vergleich zu Liniensorten für die gleiche Wirtschaftlichkeit aber zwingend 2-3 dt/ha mehr dreschen. Diese Mindestforderung wird knapp erfüllt. Bei den geringen Ertragsunterschieden zwischen den besten Linien und Hybriden gibt es auch bei der N-Effizienz nur sehr geringe Unterschiede.

In Sonderversuchen wird seit 2017 der Frage der besseren Spätsaateignung von Hybriden im Vergleich zu Liniensorten in NRW nachgegangen. Eine wichtige Fragestellung, wenn Gerste nach später räumenden Vorfrüchten steht. Im Mittel der Versuche waren Hybriden in den Spätsaatversuchen nicht besser als Liniensorten. Hybriden haben aufgrund der reduzierten Aussaatmengen bis zur Schoßphase keine bessere Untergrasunterdrückung als Linien. Auch das Argument einer besseren Unterdrückung von Ackerfuchsschwanz bei Hybriden sehen wir daher eher kritisch.

Als Resümee zu Hybriden lässt sich kein eindeutiger Vorteil festhalten. Hybriden sind sehr ertragreich und ertragssicher, in letzter Konsequenz aber nicht wirtschaftlicher als die besten Liniensorten. Man kann sie anbauen, man muss es aber nicht.

Sortenempfehlung

Die Empfehlung für die einzelnen Anbaugebiete ist in Tabelle 4 zusammengefasst. Hier sind auch die Vermehrungsflächen der Sorten angegeben. Bei Sorten mit knappen Vermehrungsflächen sollte frühzeitig bestellt werden.

Hauptempfehlung sind im Bereich der Standartsorten (Liniensorten, GMV-einfachresistent) die Sorten Quadriga, KWS Orbit und KWS Flemming. Quadriga ist der verlässliche Oldie, der auf Löss, Lehm und in den Höhenlagen immer noch gut mithalten kann. Auf Zwergrost muss geachtet werden. KWS Orbit zeigt auf allen Standortgruppen überdurchschnittliche Erträge und ist im Vergleich zu KWS Kosmos und KWS Higgings gesünder und strohstabiler. KWS Flemming kann mit guter Ertragsleistung und der besten Blattgesundheit punkten. Auf Ährenknicken muss geachtet werden.

Daneben gibt es eine Reihe weiterer Sorten mit ähnlichen Leistungen und Eigenschaften. Hierzu gehören altbewährte Sorten wie KWS Kosmos und KWS Higgings oder neuere Sorten wie Journey oder die Melia. Journey hat ein etwas schwächeres hl-Gewicht. Bei Melia muss auf Standfestigkeit und Netzflecken geachtet werden. SU Jule zeigte 2020 erstmals durchgängig unterdurchschnittliche Erträge. Die Sorte kann mit guter Standfestigkeit und Strohstabilität punkten.

Bei den Hybriden (GMV-einfachresistent) werden mit Jettoo, SY Baracooda und SY Galileo drei Sorten empfohlen. Jettoo ist die im Vergleich etwas frühere und strohstabilere Sorte ohne Schwächen bei den Krankheiten. SY Baracooda ist später in der Reife und anfälliger bei Zwergrost. Positiv ist das höhere hl-Gewicht. SY Galileoo ist die ertragsstärkste Hybride mit der vergleichsweise besten Blattgesundheit und einem etwas schwächeren hl-Gewicht.

Auf Standorten mit beiden Stämmen des Gelbmosaikvirus war die Sortenauswahl bislang auf Joker und KWS Keeper begrenzt. Beide erreichen bei Nichtbefall nicht immer das Ertragsniveau der besten einfachresistenten Sorten. KWS Keeper ist relativ lang, später reif und passt eher auf die besseren Standorte. Joker ist etwas ertragsstärker, früher in der Reife, hat aber deutliche Schwächen bei Strohstabilität und hl-Gewicht. SU Ellen, SU Laurielle und die zweizeilige Valerie sind nach den Versuchsergebnissen schwächer als KWS Keeper und Joker einzustufen und keine wirkliche Alternative. Die Neuzulassung KWS Memphis zeigte vor allem in den Höhenlagen ein sehr gutes erstes Prüfjahr und wird zum Testanbau empfohlen.

Was zeigten die neuen Sorten?

Auch neue Sorten mit nur einem Jahr im LSV können durch die Einbeziehung der Vorprüfungsergebnisse schon relativ sicher beurteilt werden. Ertragsstark zeigen sich hier Viola und Esprit. Viola ist kurz, standfest und hat eine sehr gute Strohstabilität. Auf Mehltau und Zwergrost muss geachtet werden. Das hl-Gewicht der Sorte ist mittel.

Esprit zeigt sich ohne besondere Schwächen oder Stärken ebenfalls mit guter Ertragsleistung. Teuto ist länger im Wuchs mit Schwächen in der Standfestigkeit. Hier sollte wie bei der etwas frühreiferen Finola vor einer Empfehlung ein weiteres Prüfjahr abgewartet werden.

Mit Bordeaux und KWS Moselle wurden zwei ertragsstarke zweizeilige Sorten neu in den Versuch aufgenommen. Vorteil der Sorten ist die sehr gute Kornqualität. Bordeaux zeigt vor allen Dingen auf den beiden Lössstandorten 2020 eine sehr gute Ertragsleistung. Die Ergebnisse auf Lehm, Sand und in den Höhenlagen relativieren das Ergebnis auf ein für die Sorte realistisches Ertragsniveau.

Spezialsegment Winterbraugerste

Mit Winterbraugerste gibt es vor allem in Ackerbauregionen ein zusätzliches Anbausegment. Gegenüber Sommerbraugerste lockt im Vergleich zu Sommerbraugersten auf mittleren Standorten mit gut kalkulierbaren organischer N-Nachlieferung das höhere Ertragsniveau von Wintergerste. Eine durchaus interessante Alternative, die aber nur in Absprache mit dem Handelspartner Sinn macht. Mit der zweizeiligen KWS Somerset und der mehrzeiligen KWS Faro standen 2020 auf Löss zwei Sorten im Versuch. KWS Somerset liegt knapp 10 unter den besten Wintergerstensorten. KWS Faro sehen wir trotz des sehr guten Versuchsjahr 2020 im mehrjährigen Vergleich auf einem Ertragsniveau von durchschnittlichen Futtergerstensorten. Winterbraugersten erzielen am „Käufermarkt“ Braugerste mit maximal 2 €/dt deutlich geringere Prämien als die im Berliner Programm gelisteten Sommerbraugersten. Gute Praxiserfahrungen gibt es in milden Anbaulagen mit der Herbstaussaat der Sommerbraugerste Leandra. Die Aussaat erfolgt hier aufgrund der schnellen Jugendentwicklung von Sommergersten ca. 3 Wochen später als die übliche Wintergerstensaat. Die Prämien der im Berliner Programm gelisteten Sorte liegen bei 4-5 €/dt.

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