Landessortenversuche Winterweizen 2022 Proteingehalte

Proteingehalte beim WinterweizenBild vergrößern
Die Sortenwahl beeinflusst den Proteingehalt.

Das Problem mit dem Protein

Der Anbau von Winterweizen in Nordrhein-Westfalen wird von B-Sorten dominiert. Besonders in den klassischen Ackerbauregionen sind Sortenwahl, Düngung und sonstige Kulturführung darauf ausgelegt, Backweizen zu erzeugen. Aufschläge für A-Qualitäten werden gerne mitgenommen, sofern diese nicht mit geringeren Erträgen einhergehen. Die Anforderungen an die verschiedenen Qualitätsgruppen werden vom Handel festgelegt: Abgesehen von Fallzahl, Sedimentationswert und Hektolitergewicht ist vor allem ein ausreichend hoher Proteingehalt entscheidend. Meist wird für B-Weizen ein Rohproteingehalt von mindestens 12,0% gefordert. Dieses Qualitätsziel wurde zur Ernte 2022 oft nicht erreicht. Die entsprechenden Partien ließen sich entweder nur mit Abschlägen oder als Futterweizen vermarkten.

Was sind die Ursachen?

Ausgehend von den Rückmeldungen der landwirtschaftlichen Betriebe und des Handels erreichten zur Ernte 2022 nur etwa 35-50% der erzeugten Weizenpartien einen Proteingehalt von mehr als 11,0% und waren damit zumindest eingeschränkt als Backweizen zu vermarkten. Auch weil für Futterweizen geringere Marktpreise gezahlt werden, stellte sich daher schnell die Frage nach den möglichen Ursachen für die im Vergleich zu den Vorjahren deutlich geringeren Werte. Da der Proteingehalt im Weizen von zahlreichen Anbau- und Umweltfaktoren beeinflusst wird, lässt sich diese zwar nicht pauschal beantworten, einige Faktoren lassen sich aber mit hoher Wahrscheinlichkeit benennen:

Grundsätzlich konkurrieren im Getreidekorn die Bildung von Stärke und Fetten mit der von Proteinen. Das bedeutet, dass je mehr Energie in den Aufbau von Kornmasse investiert wird, anteilig umso weniger für die Synthese von Proteinen genutzt werden kann. Dieser oft als "Proteinverdünnung" bezeichnete Effekt wird sich bei den überwiegend guten bis sehr guten Kornerträgen zur Ernte 2022 deutlich bemerkbar gemacht haben. Experten gehen davon aus, dass ein um 10% höherer Kornertrag zu einer Abnahme des Proteingehalts um etwa 1,1% (Prozentpunkte) führt. Bei Kornerträgen von teils deutlich über 100 dt/ha lassen sich gleichzeitig hohe Proteingehalte von über 12% immer schwerer erreichen.

Protein wird aus Stickstoff gebildet: Besonders bei hohen Kornerträgen ist eine gute N-Versorgung der Bestände daher essentiell. Je stärker die N-Aufnahme der Pflanze unter dem aktuellen N-Bedarf liegt, desto eher wird der aufgenommene Stickstoff für die Ertragsbildung genutzt. Der Proteingehalt hingegen steigt nur linear zur N-Verfügbarkeit, sodass unterversorgte Bestände die geforderten Qualitäten deutlich seltener erreichen. Die N-Aufnahme einer Pflanze wird einerseits von deren Entwicklungsstand (nicht zu spät gesäte Bestände erreichten zur Ernte 2022 durchschnittlich etwas höhere Proteingehalte) und andererseits von der N-Verfügbarkeit im Boden beeinflusst.

Bei hoher Strahlung und überwiegend optimalen Temperaturen präsentierten sich die meisten Weizenbestände über den Kulturverlauf als ausgesprochen wüchsig. Der daraus resultierend hohe N-Bedarf konnte aber nur dann gedeckt werden, wenn zum einen genügend freier Stickstoff im Boden vorlag und dieser zum anderen auch tatsächlich aufgenommen werden konnte. Die verfügbare N-Menge wurde auf boden- und/oder witterungsbedingt trockeneren Standorten zum einen durch eine trotz der hohen Februarniederschläge abnehmende Mineralisation und zum anderen durch die reduzierte Wirksamkeit insbesondere einer organischen oder ammoniumbasierten N-Düngung begrenzt. Dies galt vor allem im späteren Kulturverlauf, in dem eine hohe N-Verfügbarkeit sich besonders positiv auf den Proteingehalt auswirkt. Auf überwiegend mineralisch gedüngten Standorten mit hoher N-Nachlieferung und guter Wasserversorgung wurden auch bei hohen Kornerträgen oft noch ausreichende Proteingehalte erzielt.

Das auch in Nordrhein-Westfalen zunehmende Risiko für anhaltende Trockenphasen hat zusätzlich bewirkt, dass viele Landwirte ihre N-Düngung stärker auf die früheren Termine konzentrierten, die eine höhere N-Effizienz erwarten lassen. Auch vor dem Hintergrund der deutlich gestiegenen Düngerkosten und der in den vergangenen Jahren nur geringfügig höheren Marktpreise für Qualitätsweizen wurde sowohl an der N-Gesamtdüngung und insbesondere an der N-Abschlussgabe gespart.

Auch die Sortenwahl hatte sicherlich einen Einfluss auf die geringen Proteingehalte. Als traditionelles Anbaugebiet für Backweizen werden in Nordrhein-Westfalen überwiegend B-Sorten angebaut. Diese werden in der Beschreibenden Sortenliste im Proteingehalt nur selten höher als mit 3 eingestuft. Da dieser bei der Zuordnung zu den verschiedenen Qualitätsgruppen seit 2019 nicht mehr berücksichtigt wird, gibt es allerdings auch einige A- und B-Sorten, die zwar gute Mahl- und Backeigenschaften aufweisen, die bestehenden Anforderungen des Handels an den Proteingehalt aber weniger zuverlässig erfüllen. Dies gilt beispielsweise für die relativ häufig angebaute B-Sorte Campesino (Proteingehalt: 1). Die Rückmeldungen aus der Ernte 2022 bestätigen, dass Sorten mit einer höheren Proteineinstufung die vom Handel geforderten Proteingehalte häufiger erreicht haben als schwächer eingestufte Sorten.

Ergebnisse aus den Landessortenversuchen 2018-2022

Die durchschnittlichen Proteingehalte in den nordrhein-westfälischen Landessortenversuchen zur Ernte 2022 lagen zwischen 9,3% in Haus Riswick (Pfalzdorf) und 12,4% in Kerpen-Buir und bilden damit die großen Schwankungen auch in der Praxis ab. Die mit durchschnittlich 13,5% Protein noch höheren Werte in Greven lassen sich vor allem auf die trockenheitsbedingt geringen Erträge mit sehr geringen Tausendkornmassen zurückführen. Auch darüber hinaus lassen sich die verschiedenen Proteinniveaus in den Versuchen überwiegend auf boden- und/oder witterungsbedingte Unterschiede und deren Einfluss auf die N-Versorgung der Bestände zurückführen. Darauf weist auch die - anders als erwartet - positive Korrelation zwischen Kornertrag und Proteingehalt zwischen den Versuchsstandorten hin.

Die mehrjährige Auswertung der Proteingehalte der Sorten in den nordwestdeutschen Landessortenversuchen bestätigt grundsätzlich die Proteineinstufungen in der Beschreibenden Sortenliste. Davon abweichende Ergebnisse sind meist auf eine geringe Anzahl an Versuchen oder auf eine nur vorläufige Sortenbeschreibung zurückzuführen.

Als mehrjährig besonders proteinreich hat sich neben der E-Sorte KWS Emerick vor allem die A-Sorte Lemmy bewiesen, die aufgrund der annähernd durchschnittlichen Ertragsleistung für einen besonders vermarktungssicheren Anbau empfohlen werden kann. Als weitere A-Sorten mit relativ hohen Proteingehalten sind Attribut und die neuen Sorten Absolut und Polarkap zu nennen. KWS Donovan erzielte mehrjährig sowohl hohe Kornerträge als auch überdurchschnittliche Proteingehalte und damit die absolut höchsten Proteinerträge in den Landessortenversuchen. SU Jonte scheint etwas proteinreicher als RGT Reform. Die neue A-Sorte SU Willem erreicht bei hohen Erträgen nur geringe Proteingehalte.

Die meisten B-Sorten erzielten in den Versuchen nur unterdurchschnittliche Proteingehalte. Davon ausgenommen sind die ältere Sorte Rubisko, der früh blattgesunde Gentleman und die neue Sorte SU Fiete, die zur Ernte 2022 allerdings auch nur durchschnittliche Kornerträge erzielte. Erwartungsgemäß deutlich geringere Proteingehalte erreichten die älteren Sorten Benchmark, KWS Talent und LG Vertikal sowie Campesino. Die neue und sehr ertragsreiche Sorte Debian ist hinsichtlich des Proteingehalts ebenfalls relativ schwach einzustufen. Die vorläufige Proteineinstufung von Mortimer und Obiwan ist gegebenenfalls zu hinterfragen. Allerdings liegen für beide Sorten nur wenige Ergebnisse vor.

Bei den C-Sorten oder beim gezielten Anbau von Weizen zur Futternutzung sind geringe Proteingehalte gegebenenfalls sogar positiv zu bewerten, da mit zunehmender Proteinkonzentration der relative Anteil von essentiellen Aminosäuren abnimmt.

Bei der Sortenwahl für eine geplante Vermarktung als Qualitäts- oder Backweizen hingegen sollte nicht nur auf die Qualitätsgruppe sondern auch auf die in der Beschreibenden Sortenliste und den Sortenempfehlungen angegebenen Proteingehalte geachtet werden.

Schlussfolgerungen

Nordrhein-Westfalen wird sicherlich auch in Zukunft ein B-Weizen-Land bleiben. Der fortschreitende Klimawandel und die zunehmenden Auflagen des Düngerechts werden es allerdings nicht einfacher machen, die für Qualitäts- oder Backweizen vom Handel geforderten Proteingehalte zuverlässig zu erreichen. Auch vor dem Hintergrund globaler Nahrungsmittelkrisen sollte es umso wichtiger sein, die Sortenwahl, die Bestandesführung und gegebenenfalls auch die Vermarktung so auszurichten, dass ein möglichst hoher Anteil der Weizenernte direkt als Lebensmittel genutzt werden kann. Anbautechnisch können neben der Auswahl geeigneter Sorten sämtliche Maßnahmen, die das N-Aneignungsvermögen der Weizenpflanzen verbessern, auch dazu beitragen den Proteingehalt im Korn zu erhöhen. Dazu zählen unter anderem eine nicht zu späte Aussaat, eine auf gute Durchwurzelbarkeit ausgerichtete Bodenbearbeitung, eine ausreichende Kalium- und Schwefelversorgung und entsprechende Pflanzenschutzmaßnahmen zur Absicherung der Wurzel-, Fuß- und Blattgesundheit. Bei der N-Düngung sind Zielkonflikte zwischen maximaler N-Effizienz und hohen Proteingehalten nicht auszuschließen und erfordern standort- und witterungsabhängig an den individuellen Bestand angepasste Strategien. Dennoch wird es auch beim Anbau nach bester fachlicher Praxis immer wieder Jahre geben, in denen ein höherer Anteil der Ernte nicht den bestehenden Anforderungen des Handels an den Proteingehalt entsprechen wird. Auch abhängig davon, wie sich die Marktpreise für Back- im Vergleich zu Futterweizen entwickeln, ist dann zu überlegen ob sich größere Partien von hinsichtlich ihrer Mahl- und Backeigenschaften sehr gut bewerteten A-Sorten nicht auch mit geringeren Proteingehalten (direkt) vermarkten lassen. Bei zukünftig immer unbeständigerer Witterung und gleichzeitig steigendem Bedarf an Weizen auf dem globalen Markt muss sich, so auch erste politische Forderungen, allerdings auch die getreideverarbeitende Industrie mit den Möglichkeiten der Verarbeitung von proteinschwächeren Chargen auseinandersetzen.

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