Wie nachhaltig ist mein Hof?

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Foto: Christian Mühlhausen / Landpixel

Die Landwirtschaft ist Ausgangspunkt zahlreicher Wertschöpfungsketten. Daher gibt es immer mehr Anforderungen an die Nachhaltigkeit aus Verwaltung, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Ziel des Projektes „Nachhaltigkeitskodex für die Landwirtschaft“ war es, einen einheitlichen, allgemein anerkannten Branchenkodex zu entwickeln. Im Rahmen der digitalen Abschlussveranstaltung am 1. Februar mit rund 135 Teilnehmern präsentierten die Beteiligten die Ergebnisse.

Das Projekt begann 2017. Zunächst entwickelten die Beteiligten Indikatoren, mit denen eine nachhaltige Landwirtschaft gemessen werden kann. „Wichtig war uns, dass das nicht von außen geschieht. Wir haben die Landwirte direkt mit einbezogen“, erklärte Prof. Dr. Karl-Heinz Südekum, Projektleiter von der Universität Bonn. Die Indikatoren sollten den komplexen landwirtschaftlichen Betriebsabläufen gerecht werden und dabei Umwelt-, Tierschutz-, Wirtschafts- und Sozialaspekte gleichermaßen berücksichtigen. Mit diesen Kriterien untersuchten die Experten den Stand der nachhaltigen Entwicklung auf 50 landwirtschaftlichen Betrieben in verschiedenen Regionen in Nordrhein-Westfalen. Dazu zählten Ackerbau-, Futterbau-, Veredelungs- sowie Verbundbetriebe, die mehrere Tierarten halten. Sowohl die Daten von konventionell und ökologischen wirtschaftenden als auch von Haupt- und Nebenerwerbsbetrieben flossen in die Auswertung ein. Anschließend diskutierten und interpretierten die Projektbeteiligten die Ergebnisse und definierten den Nachhaltigkeitskodex noch präziser. Wissenschaftlich leitete die Universität Bonn das Projekt. Die Bundesstiftung Umwelt unterstützte es finanziell.

Betriebsübergreifende Vergleiche schwierig

Die Indikatoren deckten alle Säulen der Nachhaltigkeit ab: Soziale, ökonomische und ökologische Aspekte. Zum letzten Punkt gehörten auch Aspekte der Tiergesundheit. Für jeden Indikator bildeten die Projektbeteiligten einen Index zwischen 0 und 1, wobei 1 die Top-Bewertung darstellte. Ab einem Wert von 0,75 galten die Betriebe für den jeweiligen Indikator als nachhaltig.

Einen Überblick über die Ergebnisse im ökonomischen Bereich gab Claudia Wiese, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Südwestfalen. „Wir haben die Betriebe nach ihrer Rentabilität, Liquidität und Stabilität untersucht“, sagte sie. Indikatoren waren hierfür zum Beispiel die Nettorentabilität, die Nettoinvestitionen oder die Gewinnrate. Von 37 der 50 besuchten Betriebe flossen die Jahresabschlüsse aus drei Wirtschaftsjahren in die Bewertung ein. „Insgesamt erfüllen acht Betriebe die Anforderungen für eine nachhaltige Wirtschaftsweise“, erklärte Wiese. Dazu gehörten drei Ackerbaubetriebe, jeweils ein Futterbau- und ein Verbundbetrieb, sowie drei Veredelungsbetriebe. Weitere neun Betriebe befanden sich nah an der Nachhaltigkeitsschwelle.

Weiter ging Wiese auf den sozialen Bereich der Nachhaltigkeit ein. „Hier haben wir zum Beispiel Indikatoren wie den Lohn, den Urlaub oder die Motivation berücksichtigt. Aber auch nach der Zufriedenheit mit der Urlaubssituation oder der körperlichen Belastung befragten wir die Betriebsleiter und Mitarbeiter“, so Wiese. Für 46 der 50 Projektbetriebe konnte eine Betriebsnote „Soziale Nachhaltigkeit“ gebildet werden. 25 von ihnen erreichten einen Wert in Höhe der Nachhaltigkeitsschwelle. Mit der Arbeitsbelastung seien rund 51 % der Betriebsleiter zufrieden. Aufgeteilt nach den verschiedenen Betriebsformen gebe es allerdings deutliche Unterschiede. Bei den Futterbaubetrieben seien nur 35 % der Betriebsleiter zufrieden. Bei den Veredelungsbetrieben waren es 44 %. Höher seien die Zahlen bei den Verbundbetrieben mit 67 % und den Ackerbaubetrieben mit 70 %.

„Bei den angestellten Vollzeitarbeitskräften lag die Nachhaltigkeitsschwelle bei der Arbeitszeit bei 40 Stunden pro Woche“, so Claudia Wiese. Die Vollzeitarbeitskräfte arbeiteten allerdings im Schnitt 45,7 Stunden pro Woche und liegen damit über der Schwelle. Lediglich sechs der 19 befragten Personen lagen mit ihrer wöchentlichen Arbeitszeit bei 40 Stunden oder darunter.

Prof. Dr. Harald Laser, ebenfalls von der Fachhochschule Südwestfalen, stellte die Ergebnisse aus dem Pflanzenbau vor. Ein Indikator dafür war unter anderem der Humussaldo. Insgesamt 31 der 49 untersuchten Betriebe erreichten hier die Nachhaltigkeitsschwelle. Aufgeteilt auf die einzelnen Produktionsrichtungen werde deutlich, dass lediglich zwei von acht Ackerbaubetrieben die Schwelle überschreiten. Im Futterbau seien es 13 von 17. „Das liegt daran, dass diese Betriebe einen höheren Grünlandanteil besitzen“, so Laser. Es müsse allerdings berücksichtigt werden, dass es sich hier um Momentaufnahmen handele. Für eine vernünftige Bewertung müssten die Ergebnisse über mehrere Fruchtfolgen und Jahre festgehalten werden.

Darüber hinaus gaben die Betriebe Informationen zu ihrer Energieintensität, zum Beispiel in Form von Kraftstoff. Während alle Ackerbaubetriebe die Nachhaltigkeitsschwelle überschritten, zeigte sich bei den Futterbaubetrieben ein sehr gestreutes Bild. Zwei Betriebe erreichten die Topbewertung von 1,0. Weitere sechs wirtschafteten ebenfalls nachhaltig. Drei Betriebe kamen allerdings über eine Bewertung von 0 nicht hinaus. Laser begründete diese Werte mit einem häufigeren Überfahren auf dem Grünland. „Um sich hier zu verbessern, können die Landwirte zum Beispiel die ertragreichen, späteren Aufwüchse beweiden und so den Energieaufwand reduzieren“, erklärte er. In seinem Fazit betonte Laser, dass die Erfüllung der Nachhaltigkeitskriterien je nach Betrieb sehr unterschiedlich sei. Während Ackerbaubetriebe größere Probleme in der Humusbilanz hätten, seien sie in der Energieintensität weiter vorne. Um auch unterschiedliche Betriebstypen miteinander vergleichen zu können, seien angepasste Bewertungsmaßstäbe notwendig.

„Der Fokus im Tierbereich lag vor allem auf der Umsetzbarkeit in den Betrieben“, sagte Dr. Anna Rauen vom KTBL, ehemals von der Universität Bonn. Die Indikatoren bei der Umweltwirkung der Tiere waren zum Beispiel die N- und P-Salden in Form der Stoffstrombilanz oder die Energieintensität. Unter den 50 besuchten Betrieben befanden sich 41 tierhaltende Betriebe. Bei Zusammenfassung aller Werte erreichten 22 Betriebe eine nachhaltige Wirtschaftsweise: 13 von 17 Futterbaubetrieben, sechs von zehn Verbundbetrieben und drei von 14 Veredelungsbetrieben. „Das Nicht-Erreichen der Schwelle liegt vor allem an den N- und P-Salden“, so Rauen. Bei der Tiergerechtheit in der Rinderhaltung untersuchten die Forscher zum Beispiel die Wasserversorgung, das Tier-Fressplatz-Verhältnis, die Nutzungsdauer oder die Sauberkeit und Lahmheiten der Tiere. Von den 23 geprüften Betrieben mit Rindern erreichten 19 Betriebe die Nachhaltigkeitsschwelle. Bei den Schweinen lag der Fokus zum Beispiel auf der Futterverwertung, die Abortrate, die Umrauscherquote sowie auf Schlachthofbefunden von Leber, Lunge und Herzbeutel. Hier erreichte die Hälfte der Betriebe eine nachhaltige Wirtschaftsweise.

Von den besuchten 50 Betrieben ließen die Daten von 35 Betrieben eine Gesamtbeurteilung über alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit. Zwei von ihnen wirtschafteten in allen Bereichen nachhaltig. 22 weitere Betriebe befanden sich nah an der Schwelle zur Nachhaltigkeit oder wären durch das Vorlegen vollständiger Datensätze dazu in der Lage gewesen, die Gesamtnachhaltigkeit zu erreichen.

„Ich wünsche mir klare Empfehlungen für die Praxis.“

Drei Landwirte, die mit ihrem Betrieb am Projekt teilgenommen haben, erläuterten im Anschluss ihre Erfahrungen. „Die Studie hat mein Interesse geweckt, mich mit einzelnen Fragen der Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Interessant ist für mich auch der Vergleich mit anderen Betrieben“, erklärte Ernst Berbecker, Milchviehhalter aus Halver. „Wenn ein Landwirt allerdings mit dem Rücken zur Wand steht, kümmert er sich nicht um die Nachhaltigkeit. Hier hat seine wirtschaftliche Situation oberste Priorität“, ergänzte er. Karl-Adolf Kremer wollte einige Abläufe in seinem Betrieb kritisch hinterfragen. Zusätzlich sei ihm wichtig, dass Nachhaltigkeit einen Produktionswert und eine Wertschätzung bekomme. „Ich möchte, dass nachhaltig erzeugte Produkte entsprechend honoriert werden“, sagte der Ackerbauer aus Linnich. Sebastian Kollemeyer bewirtschaftet einen Schweinemastbetrieb in Gütersloh. Er hofft im Anschluss an die Studie auf weitere Hilfe. „Mir ist aufgefallen, dass sich einige Kriterien im Betrieb nicht so leicht umsetzen lassen. Ich wünsche mir klare Empfehlungen für die Praxis.“

Wie geht es weiter?

In einem Kurzvortrag brachte Prof. Dr. Imme Scholz, stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik und Mitglied im Rat für nachhaltige Entwicklung, zum Ausdruck, dass den landwirtschaftlichen Betrieben eine Schlüsselrolle für nachhaltige Entwicklung zugesprochen wird. „Ich finde es gut, wenn sich die Branche für solche Kodexe öffnet. Daran wird deutlich, dass nicht nur ökologische Betriebe nachhaltig wirtschaften können. Auch konventionelle Betriebe erhalten eine Chance“, erklärt sie. „Agrarsubventionen sollten zukünftig verstärkt an Umweltbedingungen geknüpft werden, um positive Anreize zu schaffen.“

Wie Nachhaltigkeit als Chance gesehen werden kann, machte Dr. Waltraut Ruland, stellvertretende Direktorin der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, in einem abschließenden Statement deutlich. Sie betonte, dass einige Fragen nach dem Projekt offengeblieben seien und erklärte wie es nun weitergehe. „Nachhaltigkeit muss als Prozess gesehen werden und nicht als Momentaufnahme. Sowohl die Kriterien als auch deren Beurteilung müssen angepasst werden. Zusätzlich müssen wir überlegen wie viel Aufwand für die Landwirte gerechtfertigt ist“, erklärte sie. Das Ziel sei die Bildung eines Netzwerkes aus landwirtschaftlichen Betrieben, die Interesse daran haben, sich zum Thema Nachhaltigkeit einzubringen. Interessierte Landwirte können sich an Walburga Hümbs, E-Mail: walburga.huembs@lwk.nrw.de, oder Petra Weins, E-Mail: petra.weins@lwk.nrw.de, wenden.