Weide als Kohlenstoff- und Wasserspeicher: Mob Grazing als Chance?

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Mob Grazing im Frühjahr als Tagweide mit Weidespinne zur Zäunung der Weideparzellen


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Strategie Mob Grazing als Nachtweide im Sommer: Links – zur Beweidung anstehende Parzelle; Rechts - Weideparzelle nach 1 – 2 Nachtweiden


Enge Herdenführung mit Wiederkäuern auf kleinen Weidearealen, die jeweils nur kurz, dafür jedoch gleichmäßig intensiv beweidet werden und sich nach Nutzung lange erholen können: Könnte Mob Grazing die Antwort auf anhaltende Dürreperioden, Humusverlust und schwindende Artenvielfalt/Biodiversität sein? Nach drei sehr trockenen Weidejahren am Niederrhein mit ausgeprägten Hitzeperioden und fehlenden Niederschlägen kommt das System der Kurzrasenweide deutlich an Grenzen. Hier sind Alternativen gefragt.

Viele Begriffe – ein Grundgedanke

Holistisches Weidemanagement, regenerative Rotationsweide, Mob Grazing – dies sind nur drei Begriffe für die gleiche Grundidee eines ganzheitlichen Weidesystems, das sich ganz nach Art der Permakultur an den natürlichen Bedingungen und Bedürfnissen der Weidetiere sowie der Weide selbst orientiert. Es wird eine Weideform beschrieben, bei der die Aspekte Klima- und Bodenschutz sowie artgerechte Tierhaltung vereint und zugleich die organische Bodensubstanz erhöht und verbessert werden soll. Man kennt das Mob Grazing System aus trockeneren Regionen der Erde. Charakteristisch sind kurze, gleichmäßige Beweidungen von Kleinparzellen mit anschließenden langen Ruhe- bzw. Regenerationszeiten.

Strategie Mob Grazing

Es geht um eine hohe Weidetierbesatzdichte auf kleinem Weideareal und um lange Ruhe- bzw. Regenerationszeiten derselben. Die Herde wird täglich neu in bereits aufgewachsene Weideparzellen getrieben. Der obere Teil des Weideaufwuchses wird verbissen, der verbleibende Teil in den Boden getreten. Das nicht gefressene Pflanzenmaterial wird vom Vieh in die Bodenoberfläche eingearbeitet, welche als Mulchschicht und Nahrungsquelle für Bodenmikroorganismen dient und den Eintrag von organischer Substanz in den Boden fördert. Durch die Parzellierung wird eine gleichmäßige Verteilung von Weidedruck und Exkrementen erzielt. Der nicht gefressene Teil der Vegetation soll Pflanzenarten und deren Wurzelsystem fördern. Die lange Erholungszeit (20 – 60 Tage je nach Witterung und Zuwachsvermögen) zwischen den Beweidungen soll zu einer hohen Menge an oberirdischem Futter (Ertragssteigerung) führen, die Biodiversität (Flora- und Fauna-Vielfalt) steigern und die Bodenfunktion (z. B. Wasserhaltekapazität – pf-Wert) und Bodenfruchtbarkeit erhöhen.

Weidereste erwünscht

Konkret unterscheidet sich das Mob Grazing von herkömmlichen Weidesystemen vor allem im Umgang mit den Weideresten: In allen bekannten Weidesystemen sind diese unerwünscht, da Futterverluste hier als Nutzungskosten bewertet werden. Dagegen sind beim Mob Grazing Weidereste ausdrücklich erwünscht, da sie, systembedingt, organisches Material zur Förderung des Bodenlebens und der Bodenfruchtbarkeit zuführen.

Zaunsystem

Um flexibel zu bleiben und die Besatzdichten den Aufwüchsen anpassen zu können, wird ein ausgeklügeltes Weidezaunsystem benötigt. So genannte Weidespinnen können häufiges und zügiges Umtreiben erleichtern, indem sie beim Versetzen über die Weide gleiten bzw. rollen; ein zeitaufwändiges Weidepfahlversetzen entfällt. In der Zukunft des digitalen Zeitalters könnten virtuelle Zäune den Arbeitsaufwand deutlich reduzieren.

Erste Erfahrungen und Eindrücke

Die Weidestrategie Mob Grazing wird dem Weidesystem der Umtriebs- bzw. Portionsweide zugeordnet und wird beschrieben mit einem Weidedruck von 100 Tonnen Lebendgewicht je Hektar Weidefläche. Im Ökobetrieb Haus Riswick wurden mit der 45-köpfigen Laktationsherde während der Weideperiode 2021 ca. 60 – 100 Tonnen je Hektar im Rahmen der Halbtagsweide auf einer Gesamtfläche von 10,7 ha geweidet. Ziel war es, den höheren Aufwuchs in der Phase des zügigen Wachstums zu nutzen, um der Herde qualitativ hochwertigen Weideaufwuchs anbieten zu können. Im Frühjahr und Herbst wurde täglich ein ca. 5000 m² großes Weideareal zugeteilt. Im Sommer wurden bei in diesem Jahr besonders guten Zuwächsen die zugeteilten Weideparzellen zweitägig geweidet, so dass rein rechnerisch während der sehr wüchsigen Zeiten der Herde täglich bzw. halbtägig 2500 m² Weidefläche zur Verfügung stand. Insgesamt wurden 40 – 70 % des Weideaufwuchses gefressen – somit verblieb zwischen 30 bis 60 % der organischen Pflanzensubstanz als Weiderest auf der Weidefläche und wurde von den Weidetieren in den Boden getreten. Es blieb also genügend Pflanzenmaterial für die Assimilationsleistung. Der systembedingte Weiderest bietet Schutz und Nahrung für das Bodenleben. Im Vergleich zur Kurzrasenweide verschwinden Geilstellen in der niedergetretenen Biomasse, die sich im Laufe der Vegetation in eine Mulchschicht verwandelt. Durch sie wächst während der Ruhezeit (25 – 50 Tage) der junge Aufwuchs hindurch.

Weidesystem für Wetterextreme  

Im hohen schutzspendenden Aufwuchs dieses Weidesystems bildet sich ein Mikroklima, in dem in Hitzeperioden weniger Wasser verdunstet und bei starken Niederschlagsereignissen der Boden vor Erosion geschützt ist. Es geht also um ein Weidesystem besonders für extreme Wetterlagen.

„Low-Input-System“

Beim Mob Grazing handelt es sich eigentlich um ein „Low-Input-System“. Nachsaaten, Unkrautbekämpfung und Weidepflegemaßnahmen sind nicht nötig; jedoch die tägliche bzw. zweitägige neue Weideflächeneinzäunung mit der Weidespinne sowie das Wasserwagenmanagement gestalten sich arbeits- und zeitintensiv. Virtuelle Zaunsysteme sind noch in der Erprobungsphase und könnten hier einen wertvollen Beitrag leisten. Parasiten dürften in diesem Weidesystem wenig Chancen und Möglichkeiten haben, einen Wirt zu finden, da die Tiere oben weiden und sich in Bodennähe die Mulchschicht befindet, dort also seltener geweidet wird und die Weide lange Ruhe- und Erholungsphasen beinhaltet. Bodenleben, Biodiversität/Artenvielfalt bei Flora und Fauna, Insekten und Artenschutz, tierische Leistungen und Wohlbefinden der Tiere sind in diesem System gleichrangig. Während der gesamten Vegetationsperiode mit täglichen bzw. zweitägigen Umtrieben vermittelte die Milchviehherde einen stets ruhigen und ausgeglichenen sowie immer zufriedenen Eindruck auf der Weide. Die Weidetiere fanden täglich einen neuen qualitativ hochwertigen Weidefutterbestand vor mit dem Ziel der Nutzung während der zügigen Wachstumsphase. Strukturfutter war ebenso vorhanden.    

Vision für die Zukunft

Dieses ganzheitliche nachhaltige Weidesystem fördert die Etablierung von stabilen Weidebeständen, die Verbesserung der Weideerträge, die Aktivierung des Bodenlebens mit der Folge der Erhöhung des Humusgehaltes im Boden. Das Ziel ist, besser durch trockene Sommer zu kommen und die Weidesaison zu verlängern. Auch wenn die Weideleistungen in diesem ersten Jahr nicht an die der wüchsigen Vorjahre (2016) heranreichen, wird hier mit diesem System versucht, in die Zukunft, in Bodenfruchtbarkeit, in Wasserhaltevermögen für trockene Jahre – letztendlich aktiv in Klimaschutz zu investieren. Zukünftige Untersuchungen müssen jedoch erst noch zeigen, ob die Mob Grazing - Strategie in unserer Region eine geeignete Alternative in trockenen, heißen Sommern darstellt. Es muss sich zeigen, wie die Auswirkungen auf die Bodenfruchtbarkeit und die Kohlenstoffbindung im Boden sind, ob sich eine zunehmende biologische Vielfalt ergibt und welche Flächen- und Tierleistungen in diesem System erzielt werden können.

Mob Grazing in der Kontroverse

Wiederkäuer beeinflussen durch ihre Methan- (CH4) und Lachgasemissionen (N2O) den Klimawandel negativ. Auf der anderen Seite bietet Grünland unter einer angemessenen standortangepassten Bewirtschaftung jedoch zahlreiche Ökosystemleistungen, allen voran die Kohlenstoffspeicherung (Kohlenstoffsequestierung). Auch wenn die ökologischen Vorteile und Leistungen von Mob Grazing umstritten und sicher noch nicht hinlänglich bekannt sind, trägt die Diskussion rund um dieses Weidesystem wesentlich dazu bei, die notwendigen Veränderungen in der Landwirtschaft in Richtung einer umwelt- und klimafreundlichen Bewirtschaftung voranzutreiben.

Autor: Anne Verhoeven, LWK Nordrhein-Westfalen, VBZL Haus Riswick, Kleve